Iphigenie
auf Tauris – Johann Wolfgang von Goethe (1786)
Inhalt
Das
Drama beschreibt das Leben von Iphigenie, welche von der Göttin
Diana vor der Opferung gerettet wurde, und nun auf Tauris als
Priesterin lebt. Iphigenie nimmt in dieser Position postiven Einfluss
auf den barbarischen Herrscher Thoas, der, nachdem Iphigenie seinen
Heiratsantrag abgelehnt hat, jedoch das Menschenopfer wieder
einführen will.
Anschließend
kommen zwei Fremde auf die Insel, welche sich als Orest, Iphigenies
Bruder, und Pylades, dessen Freund und Cousin, herausstellen und von
Iphigenie für Thoas geopfert werden sollen. Nachdem Orest von dem
Fluch der Erinnyen befreit worden ist, entschließen sich die drei
zur Flucht.
Iphigenie
kann Thoas jedoch nicht belügen und erzählt ihm den Plan. Dieser
lässt die beiden Fremden und Iphigenie jedoch nach guten Zureden von
Iphigenie mit den Worten „Lebt wohl!“ gehen.
Besonderheiten
Das
Drama besteht aus fünf Akten und ist dabei auf ein Minimum
reduziert. Es herrscht die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, wobei
jede Szene gradlinig, zeitlich eng begrenzt und an einem Ort
stattfindet. Die Akte stehen in einem idealtypischen Handlungsbogen,
da sie aufeinander aufbauen.
Das
Drama ist im Blankvers geschrieben und besteht nur aus Dialogen. Es
gibt kaum Regieanweisungen und keine Nebenfiguren.
Der
Schwerpunkt der Handlung liegt in dem Verhältnis der Personen
zueinander und damit in ihrem Konflikt.
Personenkonstellation
Die
Figuren lassen sich symmetrisch einander zuordnen, was die Harmonie,
Klarheit und Ordnung des Stückes zeigt. Es gibt zwei Hauptkonflikte:
1.
Die Auseinandersetzung zwischen Iphigenie und Thoas
2.
Die „Orest-Handlung“ mit dem Wunsch der Heimreise
Iphigenie
fungiert dabei als Belehrerin für Thoas und Orest für Humanität.
Thoas
und Iphigenie
Thoas
Thoas
ist ein widersprüchlicher Charakter, er vereint Charakterzüge eines
Gutmenschen und eines Barbaren.
Auf
der einen Seite ist er einsam, vermisst seinen Sohn und ist
pflichtbewusst. Er hat Angst vor Misstrauen und zeigt gewisse
Menschlichkeit, da er Iphigenie verspricht sie gehen zu lassen,
sollte sie die Möglichkeit bekommen Tauris zu verlassen. Außerdem
war es mild und barmherzig von Thoas, dass er Iphigenie auf der Insel
aufgenommen hat. Alle diese Eigenschaften zeigen, dass Thoas human
sein kann.
Auf
der anderen Seite verliert Thoas die Geduld, ist erpresserisch und
berechnend und will Macht ausüben, weshalb er die Menschenopfer
zunächst wieder einführen will. Weiterhin ist er gefühlskalt und
handelt willkürlich. Er zeigt sich nicht einsichtig und bleibt
beharrlich und stur.
Diese
Charakterzüge legen dar, dass Thoas auch eine barbarische und wilde
Seite hat.
Iphigenie
Iphigenie
zeigt Menschlichkeit und ist mitfühlend, weil sie gegen das
Menschenopfer ist. Sie glaubt an die Götter, spricht sich aber gegen
deren Willkür, sondern für Selbstbestimmung aus. Sie ist standhaft
und ehrlich, aber auch vertrauensselig und will die Welt verbessern.
Im Laufe des Dramas wird sie emanzipiert und selbstbewusst und
reflektiert ihre Möglichkeiten. Sie will sich die Rückreise mit
Orest und Pylades offenhalten und Thoas aber auch nicht vor den Kopf
stoßen.
Iphigenie
ist ausgeglichen, setzt sich für Frieden ein und ist human.
Orest
und Pylades
Die
Heilung von Orest
Orest
ist durch seine Familie mit dem Tantalidenfluch belegt. Er hat seine
Mutter ermordet und wird deswegen von den Erinnyen verfolgt. Aus
diesem Grund ist er verzweifelt und will streben. Orest verhält sich
ausschließlich passiv und versucht nicht den Fluch zu überwinden.
Er ordnet sich der Götterwelt und dem Orakel völlig unter und lässt
sich durch das Schicksal bestimmen.
Im
Gegensatz zu Orest ist Iphigenie aufgeklärt und aktiv. Sie bringt
ihn in den Götterhain, wo er aus der „Quelle des Vergessen“
trinkt. Orest steigert sich in seine Wahn- und Schuldvorstellung und
akzeptiert seine Opferrolle völlig. Schließlich fängt er an zu
fantasieren und fällt in einen Heilschlaf. Dabei erlebt er, wie
seine Verwandten in der Unterwelt Frieden gefunden haben und kann
sich deswegen von dem Fluch befreien.
Diese
Szene kann als Achse des Dramas gesehen werden. Durch Orests
Reinigung steht der Fluchtplan endgültig fest und damit hat
Iphigenie eine realistische Chance auf eine Heimreise. Daraus folgt
ihr moralisches Dilemma, da sie in den Zwiespalt gerät, ob sie Thoas
oder Orest verraten soll.
Die
Erinnyen – keine Figuren
Goethe
benutzt in seinem Drama die modernen Ansichten seiner Epoche
(Weimarer Klassik). Es herrscht kein absoluter Götterglaube mehr und
der Mensch strebt nach Autonomie. Deswegen entsteht ein neues
Eigenbild des Menschen, das durch das Nutzen des Verstandes
charakterisiert wird. Der Mensch und in diesem Fall Orest bestraft
sich selbst und belastet sich durch das Gewissen. Deswegen brauchen
die Erinnyen (als Figuren) nicht zu erscheinen.
Iphigenies
Dilemma
Passender
Konflikt für die Epoche der Klassik?
Die
Hauptinhalte und Gedanken der Weimarer Klassik lassen sich auf das
Drama und die Handlung von „Iphigenie auf Tauris“ beziehen.
- Das Streben nach Vollkommenheit→ Iphigenie will in ihrem Dilemma keine der beiden Seitenhintergehen
- Humanität→ Iphigenie sucht nach einer Lösung von denen alle etwashaben und niemand verletzt wird
- Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft→ Iphigenie ist zwischen Gefühlen und Vernunft gefangen. Als„schöne Seele“ stellt sie damit das Idealbild dar.
- „Unerhörte Tat“ (V.1893): Entscheidung für die Wahrheit→ Iphigenie bringt durch ihre Entscheidung Thoas den Plan zuverraten Gefühle (Triebe/Neigung) und Vernunft
(Freiheit/Selbstbestimmung) in Einklang mit ihrem Handeln
→ Iphigenie
verkörpert das Ideal der Einheit von Vernunft, Gefühl
und
Handlung.
Iphigenies
Götterbild
Im
Laufe des Dramas verändert Iphigenie ihr Götterbild. Zu Beginn
ordnet sie sich den Göttern vollständig unter. Sie akzeptiert die
Göttin Diana als Herrin und will ihr vollständig dienen. Sie schämt
sich sogar für ihren leichten Widerwillen. Iphigenie glaubt an die
Macht der Götter.
Schließlich
entwickelt sie sich weiter und kommt zu der Erkenntnis, dass manche
Menschen die Götter als Ursache für die eigenen Untaten sehen. Sie
überlegt sich, dass die Götter nicht unbedingt das Schlechte
wollen, erkennt aber auch, dass sie letzten Endes keine Wahl hat,
sondern dienen muss. Durch die Erkenntnis wächst bei ihr leichter
Widerwille heran.
Dieser
Frust wächst zu einer Abneigung gegen die Götter heran. Iphigenie
will sich auf ihre Vernunft verlassen und sich nicht mehr von den
Göttern abhängig machen.
Diese
Einstellung wird durch die Erinnerung an das „Parzenlied“ noch
verstärkt. Iphigenie erkennt, dass die Götter die Menschen
beeinflussen, wie es ihnen gefällt. Sie sind daher furchtbar und
willkürlich für Iphigenie. Sie ist der Meinung, dass der Mensch
sich aus diesem Zustand befreien muss und keine Angst vor den Göttern
haben muss, da er sich selbst bestimmen kann.
Iphigenie
gelangt zu der Einsicht, dass der Mensch sich durch seinen Verstand
selber helfen kann und deswegen die Göttlichkeit im Menschen zu
finden ist.
“Lebt
wohl!“ - Interpretation des Schlusses
Der
Schluss eröffnet durch fehlende Regieanweisungen verschiedene
Interpretationsmöglichkeiten, die wiederum beeinflussen, was das
Drama aussagt.
- Thoas ist human→ Das Drama zeigt, dass die Bildung zur Humanität möglich ist
- Es bleibt unklar, ob Thoas human ist→ Das Drama zeigt die Bildung zur Humanität, aber auch dieGrenzen von Humanität
- Möglicher Rückfall in die Barbarei→ Das Drama zeigt, dass die Bildung zur Humanität Grenzen hat
Humanität
in den Figuren des Dramas
Iphigenie
Iphigenies
Handlungen basieren auf den Grundprinzipien der Moral. Für sie ist
Ehrlichkeit eine hohe Tugend und sie lebt die Humanität als Ideal
vor.
Thoas
Am
Anfang ist Thaos an Barbar, der willkürliches und machtbesessenes
Verhalten zeigt und sich auf die Götter beruft, um sein Handeln zu
rechtfertigen.
Durch
Iphigenie wird ihm jedoch Menschlichkeit nahe gebracht und durch ihre
Ausbildung wandelt sich Thoas zu einem human Menschen.
Orest
Vor
seiner Heilung glaubt Orest an die Fremdbestimmung durch die Götter
und das Schicksal.
Nach
der Heilung wird er positiv durch Iphigenie beeinflusst und wandelt
sich ebenfalls zur Humanität.
Pylades
Pylades
versucht seine Ziele durch List und Betrug zu erreichen. Er
manipuliert und benutzt dafür skrupellos andere Menschen. Er handelt
selbstbestimmt und nach seiner Vernunft. Pylades ist aufgeklärt,
aber nicht human. Er entwickelt sich im Laufe des Dramas nicht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen